Wir machen das jetzt so!

Elisabth Büchel Neuhold, 15.08.2018

„Was schenkt man einem Mann, der im Zenit seines Wirkens steht, eine Harley in der Garage stehen hat, den Keller gefüllt mit edlen Tropfen, ein Ferienhaus im Tessin, einen Pool im Garten? Du machst es uns schwer, lieber Markus….“ An dieser Stelle hebt Oskar vielsagend seine buschigen Brauen und blickt erwartungsvoll zu den angeheiterten Gästen. Sie honorieren die Pause mit zustimmendem Raunen und Nicken und schenken vom Ribera del Duero nach. Grosszügig. Markus steht neben seinem Freund, hebt Bescheidenheit vortäuschend sein Weinglas und deutet ein Prosten an. Als keine Reaktion mehr vom Publikum kommt, fährt Oskar fort: „Du machst es uns, deinen besten Freunden sehr schwer. Wir möchten dir zum Fünfzigsten etwas ganz Besonderes schenken, etwas dass du nicht, oder sagen wir mal nur wenig zur Verfügung hast.“ Er faltet seinen Spickzettel umständlich auseinander, stellt sein Glas auf den Tisch und räuspert laut. „Schaut ihn euch an! Was fehlt diesem erfolgreichen Mann?!“ fragt er theatralisch ins Publikum und breitet die Arme aus. „Volles Haar!“ ruft jemand, was mit schallendem Gelächter quittiert wird. „Dazu können wir dir leider nicht verhelfen, lieber Markus!“ Oskar streicht mitfühlend über den fliehenden Haaransatz seines Freundes, welcher mit einem hippen Pferdeschwanz im Nacken kompensiert wird. „Und leider können wir dir weder Glück, Gesundheit noch ewige Jugend schenken. Wir haben lange überlegt. Sehr lange! Und haben uns für dich, unser lieber Markus, etwas ganz Spezielles ausgedacht!“ Es wird still im Saal. Alle Augen sind auf die am Rande der kleinen Tanzfläche stehenden Männer gerichtet. Markus, Oskar, Edi, Ralph und Beat.

„Zeit!!“ Oskar posaunt das Wort in den Saal wie eine heilbringende Verkündigung, erntet aber nur fragende Blicke. Mit zusammengekniffenen Augen orientiert er sich an seinen Notizen. „ Wir wollen dir Zeit schenken, lieber Freund! Wir alle haben ja immer zu wenig davon. Wir alle sind immer so beschäftigt mit dem Job, der Familie, im Vereinsvorstand, in der Politik und, und, und! Ist es nicht so!? Da kommt das Wesentliche oftmals zu kurz – das gesellige Zusammensein mit guten Freunden. Also haben wir uns gedacht: Zeit! Wir schenken dir Zeit, lieber Markus. Wir werden mit dir zusammen ein paar gemütliche Stunden verbringen. Genau genommen fünfzig an der Zahl. Das gibt ein flottes Wochenende. Wie und wo, das verraten wir an dieser Stelle noch nicht! Aber soviel sei gesagt: Freu dich jetzt schon auf einen ganz besonderen Event im Kreise deiner besten Freunde. Schau uns an, wir sind da für dich!“ Markus ist gerührt, umarmt jeden seiner Kumpels und klopft ihnen kräftig auf den Rücken, während das Publikum applaudiert und sich dann dem Dessert zuwendet.

Nach Mitternacht sind die Stühle der fünf Männer noch immer leer, die Dessertteller unberührt und ab und an schweift ein unmutiger Blick nach vorne. Eine halbleere Grappaflasche steht auf dem Bühnenrand. Markus, Oskar, Edi, Ralph und Beat hocken am Boden. Sie starren auf ihre Smartphones, schieben, streichen und tippen mit ernsten Mienen auf ihrer Kalenderapp herum.

„Und was ist am neunten-zehnten März nächstes Jahr?“, fragt Edi leicht schroff. „Klausurwochenende Gemeinderat“, antwortet Beat. „Goldene Hochzeit Schwiegereltern“, murmelt Oskar. „Autosalon Genf!“ kommentiert Ralph. „Und im April bin ich mit Erika zwei Wochen in Tansania. Hab ich ihr schon lange versprochen,“, rechtfertigt er sich, „aber Ende Mai hätte ich noch einen Samstag, den 26.“  „Mitte Mai habe ich meine Hüftoperation, anschliessend bin ich zur Kur weg für einen Monat“, stellt Edi fest. „Juni?“ „Swiss Harley Days! Das lass ich mir nicht nehmen.“ „Konfirmation Göttibub.“ „Clubmeisterschaft Tennis.“ „Weinschmecker Weekend Parteivorstand.“ „Ende KW 26 könnte ich vielleicht was schieben, aber ich müsste abklären, ob …“ Der Vorschlag von Beat kommt so kleinlaut daher, dass er von niemandem kommentiert wird.
Ratloses Schweigen macht sich breit. Oskar streicht sein langes Stirnhaar nach hinten.
„Tja das wird schwierig Leute, dann sind ja schon bald wieder Sommerferien!“ „Im Oktober gibt’s doch sicher ein Wochenende.“ Edi bemüht sich, einen hoffnungsvollen Ton anzuschlagen. „Machen wir da nicht unsere Gourmetreise mit den Frauen ins Piemont? Wir könnten doch …“ „Kommt nicht in Frage,“, entrüstet sich Ralph. „Wir schenken dem Markus ein Männer-Weekend. Wir wollen etwas alleine mit ihm machen!“

„Das macht ihr doch bereits seit fast zwei Stunden, meine Lieben!“ Die Freunde heben gleichzeitig ihren Blick. Sabrina steht neben ihrem Mann, legt die Hand auf seine Schultern und setzt eine tadelnde Miene auf. „Tja, dann bleiben nur noch 48. Aber jetzt bin ich dran! Das Geburtstagskind hat mir nämlich einen Tanz versprochen!“ Damit zieht sie Markus auf die Bühne. Er folgt ihr etwas unwillig und wirft einen entschuldigenden Blick zurück.

„Was machen wir jetzt?“ fragt Edi. „Wir haben uns fest vorgenommen das heute anzubinden! Ihr wisst ja wie das läuft!“
„Eben! Genau so!“ ärgert sich Ralph.
Die Vier beobachten das tanzende Ehepaar, schieben ihre Smartphones in die Hosentasche und genehmigen sich noch einen Schluck Grappa.
„Wir machen das jetzt so,“, Oskar streckt den Zeigefinger in die Luft und wartet bis er die volle Aufmerksamkeit seiner Kollegen hat. „Wir machen das jetzt so! Mit unserem Geschenk! Soll der Markus halt sagen, wann er Zeit für uns hat!“

Autorinnen

Batliner Benita

Batliner Benita

Büchel Neuhold, Elisabeth

Büchel Neuhold Elisabeth

Dressler Birgit

Dressler Birgit

Hengartner Monika

Hengartner Monika

Keller Eveline

Keller Eveline

Klassen Anna

Klassen Anna

Gaby Kratzer

Kratzer Gaby

Petra Lienhard

Lienhard Petra

Lüthi Verena

Lüthi Verena

Marti-Neuenschwander Monika

Marti-Neuenschwander Monika

Julia Onken

Julia Onken

Beatrice Stössel

Beatrice Stössel

Silvia Trinkler

Trinkler Silvia

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